Ein Erfahrungsbericht von Dr. Thomas Reinbacher:
Wir Alle kennen die Statistiken mit stetig steigenden Zahlen bei den psychiatrischen Erkrankungen. Hinter jeder einzelnen Zahl steckt ein Mensch, ein persönliches Schicksal, eine individuelle Leidensgeschichte, ein privates Umfeld uvm.
Thomas Reinbacher ist einer von unzählig vielen Betroffenen und einer, der uns tiefgehende Einblicke in seine ganz persönliche Geschichte gewährt. Vor allem aber ist er auch einer, der anderen Betroffenen wie auch Angehörigen Mut macht. Durch das teilhaben lassen an seinem Weg zeigt er, dass es sich zu kämpfen lohnt, es Hilfe gibt und selbst wenn die Situation für den Betroffenen zeitweise noch so hoffnungslos erscheint, es wieder aufwärtsgehen kann und wird.
Sein Leben beschrieb Thomas Reinbacher selbst als ein „Happy-Ding-Dong“. Tolle Frau, süßes Kind, Doktortitel und eine steile Karriere bei McKinsey, Amazon und Google. Dann verlor er den Boden unter den Füßen. Zwei schwerste depressive Episoden innerhalb von 1,5 Jahren. In den dunkelsten Zeiten wollte er nicht mehr leben. Schließlich hat er sich selbst in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Es folgten 204 Tage im Klinikum und ein steiniger Weg zurück ins Leben.
Dass es ihm heute – wie er selbst sagt – so gut geht wie noch nie, verdankt er 3 Dingen:
- Einer radikalen Akzeptanz der Krankheit
- Der Offenheit, möglichst viele Therapien zu probieren
- Und seiner fantastischen Frau.
Frühwarnzeichen und was er vorher selbst gerne gewusst hätte:
Die Depression kam natürlich nicht über Nacht. Es war/ist wie eine Krankheit, dessen Seil über viele Jahre gespannt wurde. Und plötzlich, an dem Tag, an dem er in der psychiatrischen Notaufnahme aufgeschlagen ist, riss das Seil und katapultierte ihn aus seinem Leben.
10 Frühwarnzeichen für seine Krankheitsgeschichte und – Entwicklung haben sich für ihn jedoch herauskristallisiert:
- Perfektionismus
- Extremer Ehrgeiz, immer der Beste sein zu wollen
- Keine epischen Fehler als Jugendlicher/Student machen
- Nicht auf Leute mit mehr Lebenserfahrung hören
- Die Warnsignale des Körpers nicht wahrnehmen
- Nicht auf das Bauchgefühl hören
- Kein klares Zielbild haben und das Gefühl, nie anzukommen
- Mit dem Status-Quo permanent unzufrieden sein
- Unter Gesundheit nur den Körper verstehen, nicht die Seele
- Sich selbst vergessen
„Der schlimmste Teil einer psychischen Erkrankung ist, dass Leute erwarten, dass du dich so verhältst, als hättest du keine.“
(Arthur Fleck, vulgo Joker, aus dem gleichnamigen Film 2019)
10 Tipps von Herrn Reinbachers Frau für Angehörige:
Das persönliche Umfeld eines Betroffenen ist in höchstem Maße gefordert und häufig auch überfordert. Die Bandbreite reicht von Verzweiflung, mangelndem Verständnis aber auch fehlendem Wissen bis hin zu Ohnmacht, wenn ein Angehöriger psychisch erkrankt. Thomas Reinbacher weiß aus seiner eigenen Erfahrung, wie wichtig und wertvoll jedoch enge, liebe Angehörige sind und wieviel an Unterstützung auch das Umfeld benötigt, um Erkrankungen und Krisen letztlich gemeinsam meistern zu können. Im Revue-Blick möchte er Angehörigen diese aus Sicht seiner Frau essentiellen Tipps für den gemeinsamen Weg mit Betroffenen mitgeben:
- Sei achtsam und erkenne Frühwarnzeichen.
- Akzeptiere die Depression als schwere Krankheit und informiere dich.
- Achte auf dich selbst. Es ist ein Marathon, kein Sprint!
- Appelliere nicht an den Willen. „Reiß dich zusammen“ hilft nicht.
- Du bist kein Arzt oder Psychotherapeut.
- Suizidgedanken sind ein Hilfeschrei.
- Fördere die Therapietreue.
- Habe Geduld, der Weg zur Genesung ist ein ständiges Auf und Ab.
- Wenn notwendig, treffe Entscheidungen für den Patienten.
- Verringerte Libido kann ein Symptom sein.
Diese 5 persönlichen Thesen die für ihn und sein weiteres Leben bleiben:
- Die Rückbesinnung auf das, was zählt.
- Auch mal Nein zu sagen: „Nein, ich kann nicht, ich will nicht, ich habe keine Lust!“
- Das Schöne in den kleinen Dingen sehen und die Welt mehr mit den Augen seines Sohnes zu betrachten.
- Aufhören, wenn es am schönsten ist.
- Sich nicht anderen zuliebe zu verstellen, um anderen zu gefallen, sondern so zu sein, wie man einfach ist.
Was er sich selbst versprach, nachdem er 2 schwerste depressive Episoden überwunden hatte, ist, dass dies sein Leben nachhaltig verändern wird und dass er mit seinen persönlichen Erfahrungen, anderen Betroffenen wie auch Angehörigen helfen und Mut machen möchte. Bereits jetzt entstanden ist ein Buch samt einem dazugehörigen Bilderbuch („Nach Grau kommt Himmelblau“), mit sehr persönlichen Einblicken, aber auch vielen wertvollen Tipps – Alles selbst getextet und stimmig illustriert. Ebenso hat er ansprechende „Therapiekarten“ zum Thema Werte, im Nachgang zu einer Übung aus der Psychotherapie, gestaltet.
Wie seine Geschichte konkret weitergehen wird, wieder zurück in seinen Job als Produktmanager oder sein Weg ihn in eine andere Richtung führen wird, weiß er aktuell nicht. Was Thomas Reinbacher die letzten 2 Jahre mitunter gelehrt haben, dass das Leben nicht immer in vorhersehbaren und kalkulierbaren Bahnen verläuft. Er hat jedoch das tiefere Bewusstsein erlangt, dass es auch nach schwersten Krisen am Ende wieder aufwärts geht und ihn das Leben so wie es sich ungeplant entwickelt, letztlich wieder in eine gute und womöglich sogar bessere Richtung führt.
Das Seminarformat Erste Hilfe für die Seele, vermittelt für die Allgemeinbevölkerung, aber auch speziell für das von Herrn Reinbacher als so wichtig erachtete persönliche Umfeld, sehr wertvolle Inhalte. Neben allgemeinem Grundwissen zu psychischen Erkrankungen, erhalten die Seminar-Teilnehmenden “konkretes Handwerkszeug” für das adäquate Re/Agieren bei psychischen Auffälligkeiten und Krisen. Erste Hilfe für die Seele kann somit auch Angehörige für den richtigen Umgang be/stärken und gibt Sicherheit.
Hier geht’s zu den Seminarterminen in allen Bundesländern: https://www.erstehilfefuerdieseele.at/seminare/
LEBENSLAUF von Dr. techn. Thomas Reinbacher:
Thomas Reinbacher ist 38 Jahre alt und lebt mit seiner Familie in München. Nach seiner Promotion in Informatik (unter den Auspizien des Bundespräsidenten) war er erst Forscher am NASA Ames Research Center in Kalifornien und dann Manager bei McKinsey und Produktmanager bei Amazon (Alexa) und Google (Cloud, AI).
Er beschreibt sich selbst gerne als kreativen Tüftler und Problemlöser, Teigtaschen-Aficionado und Möchtegern-Fahrradmechaniker.
Von 2021 bis 2022 war er schwer an Depression erkrankt (F33.2). Als er zur Behandlung in der geschlossenen Psychiatrie war und keinen Ausweg mehr sah, schwor er sich: »F*CK IT«, wenn ich hier gesund herauskomme – dann sprichst du offen über deine Krankheit und versteckst dich nicht mehr.