Erste Hilfe für die Seele – wie unterstütze ich jemanden in einer emotionalen Krise?

Ein Interview von und mit dem Freiwilligenzentrum Salzburg:

Am 23. November startete unser Bildungshighlight 2022:  Das Seminar „Erste Hilfe für die Seele“ veranstaltet vom Freiwilligenzentrum Salzburg in Kooperation mit Euregio und Pro Mente Salzburg.  In zwölf Stunden, aufgeteilt auf vier Termine, lernen die Teilnehmenden den richtigen Umgang mit Menschen in psychischen Krisen. Das Freiwilligenzentrum Salzburg hat sich mit dem Referenten Josef Demitsch, Leiter der Ambulanten Krisenintervention von Pro Mente Salzburg, getroffen und mit ihm darüber gesprochen, wie wir andere Menschen in Krisensituationen unterstützen können, wie wichtig eine sinnstiftende Tätigkeit ist und warum anderen helfen glücklich macht.

Wir waren sehr überwältigt von der großen Nachfrage der Freiwilligen am Seminar „Erste Hilfe für die Seele“. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das Interesse an dem Thema der psychischen Gesundheit gerade jetzt so groß ist?

Josef Demitsch: Bei Menschen, die sich freiwillig engagieren, ist ein größeres Bewusstsein dafür, wie es anderen Menschen geht, durchaus denkbar. Zum Zweiten ist durch die Corona-Krise und ihren Belastungen das Thema der psychischen Erkrankung medial in den Fokus gerückt. Deshalb ist die Aufmerksamkeit derzeit eine besonders hohe. Ich empfinde das sehr positiv, denn wenn alle Gesellschaftsschichten wahrnehmen, welche Konsequenzen sich aus dieser nicht normalen Situation ergeben, dann entsteht ein gewisses Verständnis. Dadurch werden psychische Erkrankungen enttabuisiert. Und das ist dringend notwendig.

„Wir haben von Natur aus eine soziale Begabung, die befriedigt werden muss, damit wir uns spüren und positiv erleben.“

Was sind die wichtigsten Aspekte, die passen müssen im Leben eines Menschen, damit es ihm psychisch gut geht?

Josef Demitsch: Der wesentlichste Aspekt sind soziale Kontakte. Wir sind angelegt auf ein Gegenüber, das uns Rückmeldung liefert und mit dem wir kommunizieren können. Ohne soziale Umgebung können wir nicht leben, und auch nicht psychisch gesund leben. Der zweite Aspekt ist eine sinnstiftende Tätigkeit und der dritte ist die Teilhabe am allgemeinen Leben und die Möglichkeit, einen sinnvollen Beitrag dazu zu liefern.

Freiwilliges Engagement bietet viele Möglichkeiten für sinnstiftende Tätigkeiten und ein soziales Miteinander. Wie wichtig ist es für einen Menschen, dass er eine sinnvolle Aufgabe hat und sich dadurch bedeutsam für die Gesellschaft fühlt?

Josef Demitsch: Das ist für uns überlebenswichtig. Wir haben eine soziale Orientierung und von Natur aus eine soziale Begabung, die befriedigt werden muss, damit wir uns selbst spüren und positiv erleben. Dem Gegenüber etwas Gutes zu tun, gibt uns ein Gefühl der Befriedigung, auch dann, wenn wir keinen ökonomischen Nutzen daraus ziehen. Das entspricht unserem sozialen Wesen. Nicht nur der, dem geholfen wird, profitiert davon, sondern auch der Helfende. Das ist das Schöne daran.

„In Krisenzeiten ist die Hilfsbereitschaft besonders groß. Solidarität ist etwas, das uns Menschen auszeichnet.“

Wir erleben derzeit einen starken Rückgang an freiwilligem Engagement. Man hat den Eindruck aufgrund der aktuellen Krisen sind die Menschen in einer Art Schockstarre und warten ab was passiert. Haben Sie auch den Eindruck?

Josef Demitsch: Es ist schon möglich, dass die Menschen jetzt mal abwarten und beobachten, was auf sie zukommt und ihre Energien darauf konzentrieren. Eine Stresssituation braucht viel Energie, die das Individuum jetzt für sich selbst braucht und daher nicht nach außen investieren kann. Aber wenn die Orientierung da ist, dann wird es sicher wieder werden wie vorher. Es ist bekannt, dass in allen Krisenzeiten die Hilfsbereitschaft eine besonders große war. Solidarität ist etwas, das uns Menschen auszeichnet. 

Die Freiwilligen betreuen Menschen in schweren Lebenslagen. Was kann ein:e freiwillige:r Helfer:in tun, wenn jemand emotional zusammenbricht oder zu weinen anfängt?

Josef Demitsch: Zunächst einmal geht es darum nicht wegzuschauen, anzusprechen und zu reagieren. Das Handwerkzeug, das wir Menschen dafür haben, ist miteinander reden. Auf Augenhöhe und möglichst empathisch. Wenn jemand das nicht will, diesbezüglich angesprochen zu werden, dann wird er es mitteilen. Wenn ich zur Einschätzung komme, die Hilfe, die die Person benötigt, geht über meine Möglichkeiten hinaus, dann kann ich der Person anbieten, professionelle Unterstützung zu organisieren. Oft hilft es, wenn man den ersten Schritt mitgeht und die Person zu einem Termin begleitet. 

„Es ist wichtig, Grenzen zu setzen. Wenn für mich die Belastung zu groß wird, dann werde ich die Rolle wechseln, nämlich vom Helfenden zu jemandem, dem geholfen werden muss.“

Darf ein Helfender auch Grenzen setzen, wenn die Belastung zu groß wird?

Josef Demitsch: Man darf nicht nur Grenzen setzen, man muss diese Grenzen setzen. Wenn die Grenze zwischen dem Helfenden und dem Zu-Helfenden verschwimmt, dann läuft das nicht gut. Wenn ich mich emotional zu viel reinhänge und nicht für mich Grenzen setze, dann wird das auch für mich zur Belastung werden und ich werde die Rolle wechseln, nämlich vom Helfenden zu jemandem, dem geholfen werden muss. Dann kann ich niemandem mehr helfen.

Das Seminar „Erste Hilfe für die Seele“ ist eine Veranstaltung des Freiwilligenzentrum Salzburg in Kooperation mit Pro Mente, Euregio, Salzburger Bildungswerk, Freiwilligenagentur Traunstein und Freiwilligenagentur Berchtesgadener Land. 

Aufgrund des starken Andrangs wird die Veranstaltung im Jahr 2023 wiederholt. Interessenten können sich beim Freiwilligenzentrum Salzburg melden. Weitere Informationen zum Thema und zur Unterstützung von Betroffenen finden Sie hier: Erste Hilfe für die Seele – Eine Initiative der pro mente

Dieser Artikel erschien am 28. November 2022 beim Freiwilligenzentrum Salzburg auf: https://www.freiwilligenzentrum-salzburg.at/news/erste-hilfe-fuer-die-seele-wie-unterstuetze-ich-jemanden-in-einer-emotionalen-krise/