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Einsamkeit – Ein unterschätzter Stressfaktor unserer Zeit

Dieser Text erschein als Fachartikel von pro mente Austria Präsident PDoz. Dr.Günter Klug in Spectrum Psychiatrie, SP 03|2019 .

Einfach mal nur für sich alleine sein. In unserer zunehmend lauter und schneller werdenden Welt, scheint das Vielen ein verlockender Gedanke. Man denkt dabei an Einsiedlertum, an Zu-Sich-Kommen, auch an Ruhe. Doch Einsamkeit, die nicht selbst gewählt wurde, macht krank. Sie ist eine chronische Stressbelastung und hat nichts mit Ruhe und Frieden zu tun. Sie ist auch ein Beispiel dafür, dass eine Verbesserung der Gesundheit nur möglich ist, wenn dabei sowohl das soziale Umfeld als auch die Entwicklung unserer Gesellschaft betrachtet werden.

Von außen lässt sich kaum feststellen, ob sich ein Mensch einsam fühlt. Einsamkeit ist eine subjektive Empfindung und hat nichts mit der Größe des Bekanntenkreises zu tun. Vielmehr geht es darum, wie zufriedenstellend diese zwischenmenschlichen Beziehungen erlebt werden. Gibt es eine Diskrepanz zwischen den tatsächlich bestehenden und den gewünschten Beziehungen, führt das zu negativen und stressenden Gefühlen. Menschen brauchen also nicht nur Menschen, sondern vor allem solche, von denen sie sich selbst wertgeschätzt fühlen, mit denen sie kommunizieren können und denen sie vertrauen. Nur so können sie überleben und sich weiterentwickeln.

„Das Aufbauen bedeutsamer sozialer Beziehungen ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Natur. Aktivitäten auf Beziehungsebene sind für Menschen genauso wichtig wie Essen und Trinken. Gibt es kein Gegenüber, dass auf mich reagiert, werden dieselben Hirnareale aktiviert, als hätte ich körperliche Schmerzen. Menschen, die diese Einsamkeit betäuben wollen, greifen manchmal sogar zu Schmerzmitteln, obwohl die Gesellschaft anderer Menschen und der bedeutungsvolle Austausch mit ihnen die einzige wirkliche Linderung bringen“, sagt Dr. Günter Klug, Präsident von pro mente Austria.

Einsamkeit – ein Problem der westlichen Welt

Einsamkeit tritt besonders in westlich entwickelten Staaten auf. Eine groß angelegte Studie in mehr als 70 Ländern über fünf Jahrzehnte ergab, dass die Zahl der Personen, die sich einsam fühlen, stetig steigt. Gründe dafür sind vor allem die zunehmende Urbanisierung und die Medialisierung unserer Gesellschaft. Ersteres führt dazu, dass immer mehr Menschen in der Anonymität der (Groß)Stadt leben. Zweiteres beginnt schon im frühen Kindesalter. Je mehr Zeit Menschen vor Bildschirmen verbringen, desto distanzierter erleben sie die Welt um sich. „Wir steuern auf eine Generation ICH zu. Verstärkt durch soziale Medien konzentrieren sich immer mehr junge Menschen nur auf sich selbst. Acht- bis Zwölfjährige verbringen heute fast dreimal so viel Zeit vor einem Bildschirmmedium als mit realen Sozialkontakten. Das vermindert das Erlernen von Mitgefühl. Außerdem fördern soziale Medien das Gefühl von Neid. Dadurch verlieren wir soziales Kapital und damit einen Teil unserer Gesundheit. Ein Teufelskreis entsteht, weil einsame Menschen vermehrt soziale Medien nutzen“, sagt Dr. Klug.

Die Gesundheitsrisiken, die Einsamkeit mit sich bringt, sind enorm. Wer sich als außerhalb der Gesellschaft wahrnimmt, hat in etwa dieselbe Sterblichkeitsrate einer rauchenden Person. Das zeigt sich einerseits durch körperliche Folgen wie der Dämpfung des Immunsystems wodurch es leichter zu Infekten, Karzinomen und Herz-Kreislauf-Problemen kommt. Einsamkeit kann aber auch ungesundes Verhalten wie Rauchen oder Alkohol- und Drogenmissbrauch mit sich bringen. Andererseits sind klar psychische Folgen zu sehen. „Bei psychisch erkrankten Menschen ist Einsamkeit das Problem. Psychische Erkrankungen und Einsamkeit verstärken sich gegenseitig. Einsamkeit ist das Leitsymptom bei Depression, Schizophrenie, einigen Persönlichkeitsstörungen, Sucht und Suiziden“, erklärt Dr. Klug.

Die Auswirkungen von Einsamkeit zeigen sich jedoch oft erst nach Jahrzehnten. Denn Einsamkeit kennt kein Alter, die Schwerpunkte liegen aber bei Älteren und Jungen. Zu beobachten ist, dass sich junge Menschen vor allem informelle Kontakte wünschen und ältere eher nahe Verwandte als wichtig erleben. Egal, warum Menschen einsam sind. Sie fühlen sich dadurch gestresst und können oft selbst keinen Ausweg finden.

Lesen Sie HIER, welche Möglichkeiten der Intervention es gibt.

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