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Erfahrungsbericht eines Online-Süchtigen – Teil 1

Kalksburg. Sebastian Richter[1], 22, ist von Beruf Einzelhandelskaufmann. Der Vater einer zweijährigen Tochter ist seit sechs Wochen in stationärer Behandlung im Anton Proksch Institut (A.P.I.) in Kalksburg. Hier spricht er über seine Erfahrungen im Computerspiel „World of Warcraft“, das online gespielt wird und an dem weltweit viele Millionen Spieler teilnehmen. Richter ist seit 6 Wochen WoW-abstinent und wünscht sich auch für die Zeit nach Kalksburg ein Leben ohne WoW.

[1] Name von der Redaktion verändert.

„Ein bisschen spielen geht nicht“

Meine erste Begegnung mit WoW fand in der Hauptschule statt, damals bin ich durch einen Mitschüler zu dem Spiel gekommen. Ich war schon lange ein sehr großer Fan des Herstellers – der macht tolle Spiele. Eigentlich habe ich bereits mit sechs Jahren zum ersten Mal gespielt, aber nur hobbymäßig, ein bis zwei Stunden pro Tag. Ich hätte mir auch nie vorstellen können, dass ich einmal so in einem Spiel gefangen sein würde. In den letzten beiden Jahren habe ich täglich bis zu 19 Stunden gespielt. Wenn ich um 4 Uhr in ins Bett gegangen bin, war ich um spätestens 9 Uhr in der früh wieder auf, um zu spielen.

Am Anfang hatte ich eigentlich kaum ein schlechtes Gewissen und wenn, dann nur für sehr kurze Zeit. Das Problem ist ja, dass das WoW nicht mehr eine andere Welt ist, in die man kurzfristig eintaucht, sondern es wird DEINE Welt. Es ist also kein Hobby mehr, sondern das ganze Leben. Der Auslöser für mich, um nach Kalksburg zu kommen, waren meine körperlichen Probleme, und ich hatte bereits ein extremes Schlafdefizit. Dazu kam meine familiäre Situation. Meine Tochter ist mittlerweile zwei Jahre alt, und meine Freundin meinte oft zu mir: „Du hallo, wir sind auch noch da, siehst du uns eigentlich noch?“ An irgendeinem Punkt habe ich dann selbst gesehen, dass es so nicht mehr weiter gehen kann.

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„Im WoW ist einfach alles schön“

Meiner Meinung nach haben die wenigsten der WoW-Spieler auf der ganzen Welt die Lage im Griff. Wenn ich z.B. in meiner Gilde geschaut habe, hat keiner unter 8 Stunden pro Tag gespielt. Ich war natürlich auch in einer Profi-Gilde, was ich am Anfang gar nicht wollte. Aber das passiert dann irgendwie automatisch, je größer das Wissen über das Spiel wird, desto mehr Zeit beansprucht es auch. Wenn man, wie ich, von den 650 Aufgaben 300 auswendig weiß, ist man schon sehr beschäftigt. Ich wusste die halbe Quest-log auswendig.

Die reale Welt kam mir zu der Zeit, als ich spielte, auch irgendwie nur mehr furchtbar vor. Man liest ja ständig Schreckensmeldungen von Mord und Totschlag in den Zeitungen, da denkt man sich als WoW-Spieler häufig: „Wie bekloppt sind die Leute eigentlich?“ Man hat diesen Gedanken auch deshalb, weil man das im WoW alles nicht sieht; im WoW ist einfach alles schön, jeder ist gut drauf, und es gibt sehr wenig schlechte Nachrichten. Klar funktionieren manche Sachen nicht gleich, nur wenn man im WoW z.B. irgendwo runter fällt, steht man wieder auf. Wenn man im echten Leben von einem Berg stürzt, steht man mit Sicherheit nicht mehr auf. Obwohl es im Spiel natürlich um Kampf geht, gibt es keinen Mord und Totschlag, weil niemand wirklich stirbt. Für mich ist das kein Tod, wenn man wieder aufsteht. Ich bin der Meinung, dass das Spiel bestimmt nicht ab 12 Jahren freigegeben wäre, wenn’s darum ginge.

Die reale Welt kam mir irgendwie nur mehr furchtbar vor. Im WoW ist jeder gut drauf und es gibt sehr wenig schlechte Nachrichten.

„Das Spiel wird zum Selbstläufer“

Von einer Motivation zu Spielen kann man ab einem gewissen Punkt nicht mehr sprechen, da einem das Spiel schon bald einfach dazu zwingt, es weiter zu spielen. Du fängst klein an, und umso größer du wirst, umso mehr Aufgaben hast du zu bewältigen. Ich war auch Gildenleiter, wodurch ich auch organisiert habe. Und wenn man untertags spielt, macht man das dann eben in der Nacht. Die WoW-Gemeinde wird im Laufe der Zeit einfach deine Familie. Bei mir waren’s ca. 60 Leute. Mir ist aufgefallen, dass manchmal auch ganze Familien spielen, vom Vater bis zur Mutter über den Sohn bis zur Tochter waren alle dabei. Das hat am Anfang relativ witzig geklungen, aber wenn man sich das bildlich vorstellt, ist das schon furchtbar, da sitzt dann die ganze Familie vor dem PC. Oder es gibt auch 12, 13-Jährige, die noch um 3 Uhr in der Früh reinkommen. Die meisten Personen kannte ich real nicht, von den 60 Personen eigentlich nur fünf, weil das Spiel eben auch sehr international ist.

Wie es mit Sebastian Richter weiterging und seine Erfahrungen mit der Therapie lesen Sie in unserm Beitrag:  Erfahrungsbericht eines Online-Süchtigen – Teil 2.

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