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Erfahrungsbericht eines Online-Süchtigen – Teil 2

Irgendwann ist das Spiel kein Hobby mehr, sondern das ganze Leben. Zu den körperlichen Beschwerden und dem extremen Schlafdefizit von Sebastian Richter[1] kamen noch familiäre Probleme. Dies war für ihn der ausschlaggebende Grund, sich professionelle Hilfe zu holen.

[1] Name von der Redaktion verändert.

Ambulante Therapie und der Weg ins Anton Proksch Institut

Ich war bereits vor dem Anton Proksch Institut ein halbes Jahr in ambulanter Therapie. Über Wochen hinweg hatte ich Sitzungen mit meinem Therapeuten, in denen ich ihm im Detail erklärt habe, worum es beim WoW überhaupt geht. Für ihn war das faszinierend, wie komplex so etwas sein kann … die ganze Wirtschaft, Landschaft und so weiter. Es gab ja davor auch noch nie ein Spiel, das eine eigene Wirtschaft hatte. Ich habe auch an einem Kick-off für Psychologen teilgenommen und den Profis einen tiefen Einblick ins WoW gegeben. Ich wollte, dass auch diese Leute einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen können. Und es war mir ein Anliegen, das, was ich erlebt habe, von der positiven Seite her zu beleuchten. Die Ärzte wissen sehr viel, aber das ersetzt nicht die jahrelange Erfahrung eines Spielers. Wenn man das nur kurz ausprobiert, mag es noch relativ faszinierend sein, aber das wird, wenn man es länger betreibt, zu einen Selbstläufer – ein richtiges eigenes Leben eben. Auch mein Therapeut sagte irgendwann zu mir:„Ich kann nichts mehr für dich tun“ und drückte mir die Visitenkarte des Anton Proksch Instituts in die Hand.

„Am schwierigsten war der Tag-Nacht-Wechsel“

Ich habe den Eindruck, dass mir der Aufenthalt hier bereits sehr geholfen hat. Ich fühle mich körperlich und geistig schon fitter. Einerseits ist es ein enormer Vorteil, in einer ganz anderen Umgebung zu sein; ich bin ja fast komplett vom Internet abgeschirmt. Wenn ich jetzt zum Beispiel zuhause wäre und einmal in der Woche zum Therapeuten ginge, dann bin ich mir fast sicher, dass ich mich trotzdem vor den Schirm setzen würde. Darum bin ich der Meinung, dass es für jemanden, der einmal so stark drinnen war wie ich, sicherer ist, eine stationäre Behandlung zu machen.

Ob ich Entzugserscheinungen hatte, weiß ich eigentlich nicht so genau. Was ich sehr gut beobachten konnte, war, dass  ich oft Tagträume und auch Träume in der Nacht übers WoW hatte, und das reißt dann schon sehr an den Nerven. Und mir ist natürlich schon aufgefallen, dass ich in den ersten drei Wochen hier mehr oder weniger laufend Beruhigungsmedikamente gebraucht habe, damit ich überhaupt einen Kaffeebecher halten konnte, weil ich einfach so gezittert habe. Am schwierigsten war aber eigentlich der Tag-Nacht-Wechsel, also am Tag hier zu sitzen und in der Nacht zu schlafen – das ist immer noch eine Herausforderung und klappt vielleicht an 5 von 7 Tagen.

„Von einem Alkoholiker würde man auch nicht erwarten, dass er kontrolliert trinkt“

Die ersten 14 Tage hier in Kalksburg habe ich mich auch sehr unwohl gefühlt in der Nähe von Leuten, so etwas ist natürlich ein großes Problem. Beim WoW-Spielen gewöhnst du dich irgendwann daran, dass du allein bist. Du hast zwar viele Leute um dich herum im Spiel, aber direkt in deiner Gegenwart ist halt keiner. Während des Spielens hatte ich am Ende eigentlich nur mehr zwei Leute um mich. Ich kenne dasselbe Problem von einer Kollegin, die dann gar nicht mehr in die Arbeit gehen konnte, weil sie sagte, ich packe die Leute nicht mehr.

Die ersten 14 Tage hier in Kalksburg habe ich mich auch sehr unwohl gefühlt in der Nähe von Leuten. Beim WoW-Spielen gewöhnst du dich irgendwann daran, dass du allein bist.

Wenn ich mir überlege, wie es nachher weitergehen soll, glaube ich nicht, dass ich nur ein bisschen WoW spielen kann. Von einem Alkoholiker würde man ja auch nicht erwarten, dass er kontrolliert trinkt. Ein bisschen spielen geht auch nicht, dafür ist die Welt zu komplex, da gibt’s nicht eine Stunde spielen und eine Stunde rausgehen. Ich will’s auch ehrlich gesagt nicht probieren, ob ich’s kann – schon wegen der Familie nicht. Für jeden abstinenten WoW-Spieler ist deshalb die nächste Erweiterung vom WoW der Horror. Meine Freundin hat gesagt: „Ich hoffe nur, du kaufst dir dieses Spiel nicht, weil sonst hängst du wieder drin“ … weil das WoW eine endlose Geschichte ist. Das heißt, es kommt immer wieder etwas Neues. Ich weiß nicht, wo es enden wird …

„Das meiste hängt von den Eltern ab“

Onlinesucht ist sicher ein sehr umstrittenes Thema, wobei ich der Meinung bin, dass es nicht vom Spiel oder dem Hersteller abhängt, sondern von der Person selbst. Ich habe sehr viele private und geschäftliche Probleme gehabt, ich habe natürlich so etwas wie einen Anker gesucht. Blizzard kann nichts dafür, dass es Leuten deshalb schlecht geht, und das Spiel genauso wenig. Ich bin deshalb der Meinung, dass gerade bei jüngeren Spielern – vor allem bei den 10 bis 15-Jährigen – die Eltern aufgeklärt werden sollten.

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Der Hersteller hat ja zum Beispiel eine Funktion eingerichtet, mit der die Eltern die Zeit beschränken können. Diese Sachen gibt’s – nur wenn man sie nicht benutzt, sollte man sich nicht wundern, wenn der Sohn bis 3 oder 4 Uhr in der Früh spielt.

Durch die privaten und geschäftlichen Probleme habe ich so etwas wie einen Anker gesucht. Gerade bei jüngeren Spielern hängt viel aber auch von den Eltern ab.

Man müsste halt sehr früh ansetzen, denn ich glaube kaum, dass es einen 20-Jährigen gibt, der sich von seinen Eltern noch vorschreiben lässt, was er machen darf. Es bringt nichts, wenn die Medien über WoW oder den Hersteller hetzen. Da kann man nicht ansetzen, das meiste hängt hier wirklich von den Eltern ab. Es sind nur drei Klicks und jeder Vater oder jede Mutter weiß mehr.

Die Anfänge und wie es zur Spielsucht von Sebastian Richter kam lesen Sie in  Erfahrungsbericht eines Online-Süchtigen – Teil 1.

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