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„Der andere muss mich nicht glücklich machen“

Seit mehr als fünf Jahrzehnten befasst sich Eva Jaeggi in ihren Therapien unter anderem mit dem Beziehungsleben ihrer Klienten. Im Gespräch erzählt die 83-jährige Berlinerin mit Wiener Wurzeln über Liebesweisheit, alte Ehen und warum man Glück nicht vom Partner verlangen sollte.

Der Markt an Beziehungsratgebern ist schier unüberschaubar – Frau Jaeggi, welchen „Beziehungstipp“ würden Sie Paaren geben, um glücklich zu werden oder zu bleiben?

Da muss ich gleich beim Wort glücklich einhaken. Zu glauben, der andere muss mich glücklich machen, ist der größte Glücks- und Liebeshemmer. Es gibt Dinge, die muss man sich selber schaffen, auch ohne den Partner. Ich halte es deshalb für ganz wichtig, dass Paare immer wieder getrennt in die Welt hinausgehen. Später kann man dann das, was man erlebt hat, in die Beziehung hineinbringen und mit dem Partner teilen. Die ganze Zeit zusammen zu sein, wird schlicht langweilig. Ich hasse es, wenn sich die Paare in einer größeren Gesellschaft zusammensetzen. Das ist so ungeschickt! Anstatt sich mit anderen Menschen auszutauschen, hockt man im schlimmsten Fall einen Abend lang schweigend nebeneinander. Solange man in jüngeren Jahren berufstätig ist, ergibt es sich meistens von selbst, dass man in unterschiedlichen Welten unterwegs ist. Im Alter, wenn der Beruf wegfällt, ist die Gefahr groß, dass man permanent zusammenklebt. Und wenn ich ehrlich bin, halte ich auch das Modell Hausfrau-Mutter für nicht sehr beziehungsförderlich. Die Themen erschöpfen sich einfach. So gescheit und kreativ sind die wenigsten Menschen, dass sie dann die wunderbarsten Gespräche miteinander führen. Kommen wir zurück zu Ihrer Frage – im Allgemeinen gebe ich gar nicht so gerne Tipps, und Beziehungsratgeber halte ich sowieso für problematisch.

Kommen Sie bei Ihrem Beruf nicht selbst in Versuchung, Ratgeber zu schreiben?

Sicherlich, aber ich erinnere mich immer wieder daran, dass ich selbst viel lieber Romane lese. Beziehungsratgeber schaffen oft zusätzliche Probleme. Es gibt zwar recht gut geschriebene Bücher, aber ich erlebe es auch immer wieder, dass sich einzelne Personen dann an dem Gelesenen festbeißen. Dabei muss das, was da steht, gar nicht für sie zutreffen. Lesen Sie lieber Romane! Es gibt so viele Romane, in denen psychologische Kenntnis eine große Rolle spielt.

Beziehungsratgeber schaffen oft zusätzliche Probleme. Es gibt zwar recht gut geschriebene Bücher, aber es gibt auch Personen, die sich an dem Gelesenen festbeißen.

Leseratten können also ganz nebenbei vieles über Beziehungen lernen …

Nicht nur Leseratten. Das lernt man heute im günstigsten Fall auch durch Filme oder durchs Fernsehen. Nicht alle Serien sind dumm. Und es gibt wirklich gute Filme, die Lehrbücher der Psychologie sind. Durch unseren Medienkonsum verfügen wir heute über eine ganze Menge an Vokabular, mit dem wir über Psychisches sprechen können. Wir leben schon weitgehend in einem psychologischen Zeitalter. Man weiß, wie man bestimmte Dinge benennen kann. Das ist auch in der Psychotherapie das wichtigste, dass bestimmte diffuse Gefühle und Stimmungen möglichst genau mit Begriffen gefasst werden. Nur was einen Namen hat, lässt sich verändern.

Wie sinnvoll ist denn (Paar-)Therapie, wenn die Beziehung nicht mehr so gut läuft wie vielleicht zu Beginn?

Also zuerst einmal muss man sich klar darüber sein, dass sich nach der Verliebtheitsphase immer Unterschiede zwischen den Partnern auftun. Im Alltag in der Beziehung werden dann leicht die alten Muster wiederbelebt. Freud sagt ja: Jedes Liebesobjekt ist ein wieder gefundenes Objekt, das heißt Vater oder Mutter. Menschen können sich natürlich auch ohne therapeutische Hilfe von diesen Mustern befreien. Nicht jede Fehlverhaltensweise ist so starr, dass man überhaupt nicht aus ihr heraus kommt. Vieles kann man zum Beispiel im Gespräch mit anderen, mit Freunden klären. Schwierig wird es dann, wenn man einen Partner oder eine Partnerin nach dem Muster des Elternteils wählt. Nehmen wir eine Frau, die als Kind einen Vater hatte, der sie oft abwertete oder nicht richtig zur Kenntnis nahm, weil er sehr mit sich selbst beschäftigt war. Verfällt sie dann einem Mann, der sie auch schnell abwertet – aus seinen neurotischen Gründen, dann wird es schwer das aufzulösen. Solche festgefahrenen Schwierigkeiten können oft nur mit Hilfe eines Dritten überwunden werden. Das kann ein Therapeut sein oder eine andere Liebesbeziehung, die da hereinbricht.

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Sie meinen, ein Seitensprung kann also zur Chance für die Beziehung werden?

Sich neu zu verlieben ist immer eine gute Möglichkeit, um wieder glücklich zu werden. Es gibt Menschen, die müssen einfach aus einer allzu engen Beziehung ausbrechen und können das nur, indem sie einen Dritten hereinholen. Das ist häufig sehr destruktiv. Aber es kann auch funktionieren. Ich kenne Paare, die das vorübergehend oder über lange Zeit hindurch akzeptiert haben, im festen Wissen – und das ist wichtig dabei – der andere bleibt meine wichtigste Person! Dieses Vertrauen haben viele Menschen nicht. Aber wer sagt, dass Ehen oder Partnerschaften bis zum Tod halten müssen? Das ist heute eher unwahrscheinlich, bei der Fülle an Entwicklungsmöglichkeiten. Die persönliche Entwicklung ist ja die Forderung unserer modernen Zeit. Das bedeutet natürlich, dass man sich in einer so langen Lebensspanne auch sehr lange entwickeln kann. Heute muss man auch bei unterschiedlichen Entwicklungswegen froh sein, wenn eine Beziehung über die Kinderzeit hinweg hält – das ist schon lange. Noch besser: wenn man sich gemeinsam weiter entwickeln kann.

Wer sagt, dass Ehen oder Partnerschaften bis zum Tod halten müssen? Die persönliche Entwicklung ist ja die Forderung unserer modernen Zeit.

Wie kann diese gemeinsame Entwicklung beginnen?

Jeder muss bei sich anfangen – anstatt den anderen zu kritisieren, sollte man sich selbst lieber fragen: Wie komme ich zurecht mit bestimmten Eigenschaften, Verhaltensweisen und auch Stimmungen? Oft geht es auch darum, sich langsam bewusst zu werden, dass einen das, was einen am anderen so ärgert, gleichzeitig fasziniert. Manchmal wundert man sich, dass sich Menschen dauernd über das beschweren, was sie letztlich anzieht. Dass der andere zum Beispiel immer Freiheit will. Bekommt ein Mann dann aber eine Partnerin, die mehr ein Heimchen am Herd ist, ist er auf einmal gar nicht zufrieden. Dann kann er daran erkennen, dass der Drang hinaus und sich den engen Grenzen entziehen, etwas Reizvolles ist. Es ist immer ein guter Anfang, sich ganz konkret vorzustellen, welche Art von Partner man eigentlich möchte. Wie sähe das eigene Leben dann aus? Durch solche Fragen kann man sich unter Umständen schon darüber klar werden, dass man den Partner so braucht, wie er ist. Dadurch kann der Groll verschwinden.

Sie haben sich viel mit „alten Ehen“ beschäftigt und auch selbst noch einmal geheiratet … reden wir doch über die „alten Ehen“!

Ja, das stimmt. Und natürlich habe ich auch in meinem Bekanntenkreis viele „alte Ehen“. Einige davon sind an dem Punkt, wo klar wird, der eine altert schneller als der andere. Er ist vielleicht nicht mehr so sportlich, vielleicht kränklich und fängt an zu jammern. Auf einmal ist da eine neue Person, mit der man fertig werden muss. Am schlimmsten ist es natürlich bei der Demenz. In dem Fall kann der Moment kommen, wo die Gefühle des einen in wirkliches Mitleid umschlagen. Er oder sie übernimmt dann die Rolle der Mutter oder des Vaters und verlangt nichts mehr vom anderen. Dadurch entsteht Hass und dann wird alte schmutzige Wäsche gewaschen. „Immer hat er mir schon verwehrt, dies oder jenes zu tun“, „Er hätte mich doch heiraten können“, „Die Kinder hat er ja auch nie beachtet“. Alles, was schon lange keine Relevanz mehr hatte, wird wieder hervorgeholt und im Lichte einer neuen Rollenverteilung scharf betrachtet.

Die beste Vorbereitung auf eine gute Beziehung im Alter wäre also darauf zu achten, dass es keine offenen Rechnungen in der Partnerschaft gibt … ?

Es gibt immer offene Rechnungen. Aber lassen Sie mich noch kurz das Beispiel einer älteren Freundin erzählen, deren Partner immer dementer wird. Sie geht sehr sorgsam mit dieser Situation um, indem sie sich selbst Freiräume verschafft. Sie macht ihm keine Vorwürfe, aber sie sagt: Es ist mir einfach zu langweilig, den ganzen Tag mit ihm zusammen zu sein, der immer wieder dasselbe fragt und immer wieder dasselbe erzählt. Also hat sie Abende, an denen sie sich alleine mit Freundinnen trifft.

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Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass jemand anderer für ihn da ist. Oder sie lädt Leute ein und sagt gleich: Eineinhalb Stunden, mehr bitte nicht. Das freut ihn nach wie vor sehr. Er erkennt die Freunde noch, aber nach einer gewissen Zeit wird es eben zu viel für ihn. Sie überlegt also sehr bewusst, wie sie weder ihn noch sich überfordert. Das können viele nicht. Sie werfen sich zu 100 Prozent auf die Pflege und Sorge für den anderen und werden immer wütender, weil sie kein eigenes Leben mehr haben. Es gehört zur Weisheit des Liebeslebens, dass ich mich selbst nicht aufgebe.

Eva Jaeggi wurde 1934 in Wien in eine gutbürgerliche Familie geboren. 1957 promovierte sie hier in den Fächern Psychologie, Philosophie und Geschichte. 1961 ging sie mit ihrem Mann, dem Soziologen Urs Jaeggi nach Bern, wo auch die gemeinsame Tochter Rahel zur Welt kam. Es folgten Ausbildungen in Verhaltenstherapie und Psychoanalyse in Wien und Berlin. 1978 erhielt sie einen Ruf als Professorin für Klinische Psychologie an die Technische Universität Berlin. Jaeggi ist seit mehr als 50 Jahren eine der führenden Therapeutinnen im deutschsprachigen Raum und hat zahlreiche Klassiker der psychotherapeutischen Fachliteratur verfasst, darunter das ausgezeichnete Buch „Und wer therapiert die Therapeuten?“. Heute arbeitet Jaeggi in freier Praxis in Berlin, wo sie mit ihrem zweiten Mann lebt. Das Gespräch fand anlässlich der Erscheinung ihres aktuellen Buches „Liebe und andere Wagnisse“ im Verlag fischer und gann statt.

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